B.E.W trifft Christian Mittermeier während des Lockout


B.E.W trifft Christian Mittermeier während des Lockout
B.E.W trifft Christian Mittermeier während des Logout – Vergangenheit | Gegenwart | Zukunft

Christian Mittermeier ist Besitzer des Boutique-Hotels Villa Mittermeier und des Konzept-Hotels Mittermeiers Alter Ego sowie eines ausgezeichneten Restaurants. Er ist ein engagierter Koch und Weinmacher sowie Mitglied der JRE Jeunes Restaurateurs d’Europe in Deutschland, dem Netzwerk für Spitzenköche in Europa.

Gelernt hat er im Hotel Bareiss, Baiersbronn im Schwarzwald. Wenn wir auf seine Webseite gehen,  dann lesen wir momentan als erstes aus seiner Hand 
#flattenthecurve | #neverendingpassion |#fuckcorona

Christian Mittermeier

(BEW) Christian Mittermeier, als ich im Dezember 2019 mit meinem Wohnmobil bei Dir am Hotel stand, waren wir weit entfernt von Corona und seine Auswirkungen. Im Gegenteil, wir haben uns derartiges nicht vorstellen können. Wie geht es Dir damit?

(CM) Das werde ich natürlich oft gefragt und ich antworte dann gerne: „den Umständen entsprechend hervorragend gut.“

(BEW) Du hast Dich bewusst dazu entschieden alles ruhen zu lassen, eine mutige Entscheidung. Andererseits hast Du in einem persönlichenGespräch angemerkt, dass wir in Deutschland doch auch ganz gut versorgt sind. Wie meinst Du das?

(CM) Na ja, was augenblicklich passiert ist für alle ungewohnt und ungeübt. Das ruft verschiedenste Reaktionen hervor, die mich teilweise verwundern. Mein Gott, wir haben es warm, wir haben zu essen, wir haben zu trinken. Ja, es ist echt blöd für unsere Geschäfte. Es ist blöd für unseren Beruf. Aber es ist ja nicht so, dass wir Bombenhagel zu erwarten haben oder dass irgendwo an der tschechischen Grenze ein Atomkraftwerk hochgegangen ist und alles verseucht ist. Wir müssen noch ein paar Wochen aushalten.  Es gibt viele Menschen auf der Welt, die es wesentlich schlimmer haben als wir für ein paar Wochen.

(BEW) Bevor ich noch weiter mit Dir ins Gespräch gehe, erlaube mir ein paar Fragen vorweg

  • Ich bin ein Mensch, der…? Versucht, nach dem Besten zu streben.
  • Wenn ich in Deinen Kochtopf schaue, sehe ich…? Pichelsteiner Eintopf
  • Deine Vorlieben außerhalb des Kochtopfes…? Zuerst meine Familie, dann mein Freundeskreis. Und wenn die Frage Richtung Hobby geht, dann auf jeden Fall Tauchen.
  • Zwischenfrage: Wo tauchst Du am liebsten? Auf den Malediven. Mal dort gewesen, für immer versaut
  • Das Wichtigste in meinem Leben ist…? Meine Familie

(BEW) Ich möchte mit Dir einen Rückblick in die Gastronomie halten, über die Gegenwart  mit Dir sprechen, einen Ausblick für die Gastronomie halten. Ich möchte weiterhin mit Dir darüber reden, was Corona mit Deinen Unternehmungen macht? Und ich möchte auch mit Dir darüber reden, was Corona für die Branche ausmacht? Deshalb meine erste Frage: Wo waren bislang die Stärken, wo waren bislang die Schwächen dieser Branche?

(CM) Die Branche ist mir von Kindesbeinen an bekannt. Ich bin sozusagen zwischen Buffet und Fritteuse aufgewachsen, kann also wirklich auf mehr als 50 Jahre Erfahrung zurückblicken. Die Stärke unserer Branche war schon immer, dass alle, die den Beruf gut und mit dem richtigen Mindset ausüben, auch mit viel Leidenschaft, mit Gefühl und mit tollen Momenten hauptberuflich zu tun haben. Es ist sozusagen unsere amtliche Aufgabe für guten Geschmack, für Genuss-Momente, für Glück zu sorgen. Ob das jetzt eine Taufe ist, ein Geburtstag, einfach ein fröhliches Essen zu zweit oder im Freundeskreis. Das macht den Beruf im Sinne von Stärke für mich total schön und wertvoll, wertvoll wirklich im Wortsinne und wichtig.

(BEW) Ich weiß, dass auch Du das lebst.

(CM) Es ist mein Ding, genauso verstehe ich meinen Beruf und fühle mich wirklich gesegnet, dass ich diesen Beruf ausüben darf und nicht irgendwas machen muss, was mir vielleicht widerstreben würde.

(BEW) Ich habe jetzt zwei Fachbeiträge von mir geschätzten Kollegen gelesen, zum einen von Wolfgang Fassbender und zum anderen von Jürgen Dollase. Der Ruf nach Veränderungen ist laut und damit scheinbar verbunden, dass irgendetwas nicht richtig läuft oder lief.

(CM) In der Vergangenheit nicht unbedingt, der Ruf nach Veränderung kommt. Nach meiner Einschätzung in erster Linie aus Bedürfnissen, die sich verändern. Aus Wünschen und aus Anforderungen des Marktes. Nicht unbedingt Veränderungen im Sinne von Köche. Wir müssen jetzt alle mal aufwachen, denn wir können unseren Beruf nur erfolgreich ausüben, wenn wir genügend Gäste finden, denen gut gefällt, was wir tun.

 

(BEW) Sollte man das ganze Thema vom Wertewandel in der Gesellschaft insgesamt und seine Auswirkungen auf die Gastronomie bedenken?

(CM) Wertewandel ist ein großes Wort, da würde ich noch unterscheiden: Welche kurzfristigen Änderungswünsche sind der augenblicklichen Situation geschuldet? Und welche langfristigen Änderungswünsche werden davon bestehen bleiben? Es sind vielleicht zwei verschiedene Themenkreise, die nicht unbedingt deckungsgleich sind. Ich glaube, dass im Moment auch alle ein bisschen aufgeregt sind und möglicherweise einen Teil dieser Aufregung sich legt, dann schauen wir was übrig bleibt.
Kurzfristige Änderungswünsche wären für mich Abstand, Hygiene, ganz großes Augenmerk auf Socialising.. 

(BEW) Du bist ja auch jemand der befürwortet, dass wir mit der Öffnung der Gastronomie noch warten

(CM) Ja und nein – einerseits Öffnen, weil wir alle natürlich wieder loslegen wollen. Das hat wirtschaftliche Gründe und zum anderen auch mit diesem „Eingesperrtsein“ zu tun, wo jeder sagt: Bitte lasst mich zurück in mein normales Leben.  
Und  andererseits Warten, weil ein Teil dieser Aufregung herrscht aus der Unsicherheit heraus. Wir werden Zeit brauchen, bis wir wieder eine halbwegs normale Atmosphäre haben, mit der alle klarkommen. Die Gäste, die Mitarbeiter, die Inhaber und nicht zuletzt auch die verantwortlichen Politiker, die die Entscheidungen treffen müssen.

(BEW) Du hast von langfristigen Änderungswünschen gesprochen. Welche wären das?

(CM) Ich sehe das aus Gästesicht und nochmal aus der Beurteilung von gesellschaftlichen Entwicklungen, die sehe ich wirklich positiv. Unsere Herkunft, wie wir unseren Beruf verstehen, auch wenn wir ihn unterschiedlich ausüben: Die gastronomische DNA basiert  immer noch auf viel Tradition, auf französisch höfische Zeremonien, die sich durch das sogenannte Küchen-Französisch ziehen. Wie beispielsweise die Bezeichnung Menü, viele Wörter haben sich bei uns fest verankert. Das ist aus meiner Sichtweise zu förmlich.
Und die moderne Gesellschaft? Die verlangt weniger nach Form, sondern mehr nach Inhalt. Auch in anderen Lebensbereichen, nicht nur in der Gastronomie. In meiner Ausbildungszeit gab es Themen wie Regionalität oder Nachhaltigkeit und dergleichen  so gar nicht. Es hat keine Rolle gespielt, ganz im Gegenteil. Je exotischer die Lebensmittel waren, umso hochwertiger verstand man sie. Und da hat es natürlich schon eine Besinnung gegeben auf die Frage: Was ist denn wirklich wichtig? Müssen wir immer nur das Filet essen? Oder gibt es noch andere Teile, die interessant sind? Muss es immer nur die Papaya sein? Oder finden wir auch in unserer Umgebung Erzeugnisse, tolle Produkte, die uns überraschende und einzigartige Momente bescheren? Es sind bestimmte Themen wichtig geworden. Das ist so ein Flow, der insgesamt auch zu wesentlich mehr Mündigkeit der Gäste führt. Zu einem aufgeklärten Genießen und deswegen auch zu anderen Ansprüchen. Die Leute lassen sich nicht mehr so leicht mit irgendwelchem prosaischen Speisekarten-Geschwurbel beeindrucken, je exotischer und komplizierter die Gerichte klingen, desto hochwertiger sind sie. Vielmehr geht es stark um die Inhalte, und das ist schön.

Villa Mittermeier

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BEW) Du hast mir verraten, dass dies auch für Dich ein persönlicher Prozess war.

(CM) Ja, natürlich. Ich habe es ja anders gelernt. Ich habe ja meine Ausbildung 1984 begonnen, das darf man gar keinem sagen. (und lacht)

(BEW) Ich wusste, dass sowas kommt.

(CM) Na ja, wenn wir solche Zahlen in den Raum werfen, sind wir alle etwas erstaunt, wie lange wir doch schon am Markt agieren. Wir haben gerade heute morgen erst mal den Kindern beim Frühstück davon erzählt, wie schön diese Erfahrung ist.

(BEW) …und die Gelassenheit kommt in jedem Fall dazu. Christian, was glaubst Du wird Corona und die Auswirkungen dieser Pandemie für die Branche bedeuten?

(CM) Wir haben jetzt wirklich schon ein paar Wochen mehr als üblich Zeit, und die Zeit habe auch ich versucht zu nutzen. Um nachzudenken, um herauszufinden was da gerade passiert. Was ist der kleinste gemeinsame Nenner aller Dinge, die augenblicklich geschehen? Das sind wirklich interessante Fragen, die auch bewirken, dass ich mein komplettes Geschäftsmodell, meinen kompletten Betrieb hinterfrage, um zu prüfen, ob er in der Zeit nach Corona noch richtig liegt. Meine Einschätzung ist, dass diese Phase Veränderungsprozesse bewirken wird. Und dass diese Prozesse, von denen viele bereits vor Corona begonnen haben, jetzt beschleunigt werden. Meine Einschätzung kann aber auch falsch sein, weil alle Überlegungen einfach sehr persönlich sind.
Da sind Entwicklungen, die vorher bereits erkennbar waren, aber jetzt durch Corona schneller sichtbar werden. Ein Beispiel ist die Digitalisierung in der Gastronomie, ein Begriff, mit dem viele überhaupt nichts anfangen können. Unser Betrieb hat bereits vor Jahren damit begonnen, die Systeme immer digitaler zu machen, weil wir glauben, dass darin viel Potenzial liegt. Aus einem Beweggrund, der mit Corona überhaupt nichts zu tun hat. Wir haben hier viel internationales Publikum, welches den Umgang mit IT in der jeweiligen Heimat ganz anders geübt und gelernt hat, als es hier der Fall ist. Wir sind in Deutschland teilweise nicht so ganz weit vorne, wie wir das manchmal glauben. Für digitalen Zugang haben wir in allen Gästezimmern elektronische Schlösser installiert. Wir haben den „digitalen Meldeschein“ eingeführt. In der Hotellerie heißt das ganze seamless stay, also nahtloser Aufenthalt. Wo wir diese Prozesse, wie „hatten Sie eine gute Anreise und haben Sie eine Kreditkarte“ , wie wir sie vor hundert Jahren schon gehabt haben, abgeschafft haben.  Diesen ganzen Schmarren können wir beiseite lassen. Das können wir jetzt viel reibungsloser, gästefreundlicher, kundenfreundlicher organisieren. Und in Zeiten von Corona ist Digitalisierung ein Riesenthema geworden.

(BEW) Das hast Du ja bereits vor Corona möglicherweise aus Intuition heraus für Dein Unternehmen entdeckt, siehe Dein Konzept-Hotel Mittermeiers Alter Ego, da wird Digitalisierung bereits seit 2018 gelebt.

(CM) Genau, das hatte mit Corona gar nix zu tun. Das hatte völlig andere Beweggründe und bekommt jetzt eine neue Bedeutung, und eine wesentlich höhere Relevanz als vor Corona.

Mittermeiers Alter Ego
Mittermeiers Alter Ego
Mittermeiers Alter Ego
Mittermeiers Alter Ego

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BEW) Ein anderes Thema: Wo sind die Schwächen der Gastronomie?

(CM) Eine Schwäche der Gastronomie ist, dass sehr gegensätzliche Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen sind. Auf der einen Seite für die eher weichen und emotionalen Skills wie Gefühl, Genuss und Wohlgeschmack sowie Schönheit zu stehen. Andererseits und ziemlich weit davon entfernt nüchtern und klar, manchmal vielleicht sogar rigoros und konsequent zu sein. So, wie es im Handel oder in der Industrie verlangt wird. Wir, in der Gastronomie sind gewohnt, immer schnell auf sich ändernde Situationen einzugehen.
Unsere Stärke liegt darin, dass wir unheimlich flexibel sind und Dinge kurzfristig und quasi auf Sichtweite erledigen. In der Industrie ist das überhaupt nicht angesagt. Da wird vorher viel nachgedacht, wird viel aufgeschrieben. Da wird viel festgelegt und geordnet, und das sind zwei eher gegensätzliche Anforderungen.
Und weil keiner alles kann ist da in Anführungszeichen, so glaube ich, eine Schwäche in der Gastronomie zu sehen. Denn wir reden hier von der eher mittelgroßen oder kleinen und inhabergeführten Gastronomie. Nicht von Systemgastronomie, von Ketten und so weiter. Ich kann mich gut erinnern, dass wir selbständigen Gastronomen auch schon vor 15 Jahren die Kollegen, die Küchenchefs in großen Organisationen waren, mitunter ein wenig belächelt haben. Für uns stand fest, dass DIE Zuhause doch nichts zu melden haben und tun müssen, was der Direktor sagt. Sie haben keinerlei Entscheidungsfreiheit, befinden sich in starren Strukturen. Während WIR wesentlich mehr in der freien Wildbahn unterwegs waren. Im Nachhinein, 15 Jahre später, muss ich sagen, dass diese Kollegen  uns heute oft um Längen voraus sind, denn sie sind in festen Strukturen. Dort wird gerechnet, Controlling existiert, Strategien werden ganz konkret aufgeschrieben und hier findet nicht nur eine „Fahrt auf Sicht“ statt.
Diese eher gegensätzlichen Anforderungen gilt es nun für uns unter einen Hut zu bringen. Ich glaube, das ist eine Übung, die auch durch die Auswirkungen von Corona immer wichtiger wird. Wir müssen uns heute im Jahr 2020 alle miteinander über den Stand der Dinge klar werden und auch etliche unserer Sichtweisen überdenken.

Ein Beispiel: Vor 20 Jahren gab es noch einen Mittags-Service, ich hatte damals jeden Mittag die Bude voll. Weil die Leute gesagt haben: Komm, wir machen ein Geschäftsessen, hoch die Tassen. Anfang der Neunzigerjahre, an der Grenze zur Schweiz, da war es obligatorisch, das mittags zum Apero das Chüpli, ein Gläschen Champagner, bestellt wurde.

(BEW) Du hast von kleinen inhabergeführten Restaurants und Hotelbetrieben gesprochen. Es ist nicht jeder betriebswirtschaftlich so ausgebildet, dass er agieren kann, wie Du agierst. Die brauchen möglicherweise Hilfe. Was glaubst Du, wer könnte da die Gastronomie in diesem Prozess unterstützen?

(CM) Eigentlich niemand, wir brauchen ordentliche Rahmenbedingungen, dafür ist die Politik zuständig. Und daran darf man die Herrschaften auch erinnern, dass die Rahmenbedingungen für uns ordentlich sein müssen. Dazu brauchen wir Unterstützung im Sinne von Wohlwollen unserer Gäste. Das bedeutet im Bewusstsein des Gastes sich einfach mal auf etwas einzulassen und nicht nur Forderungen, die aus der Zeit gefallen sind, zu stellen.
Unterstützen im Sinne von „Wer sollen uns die Arbeit machen?“ – das ist nicht möglich. Auch wenn es vielleicht unbequem ist, den Job müssen wir selber machen. Dazu braucht man auch keine kaufmännische Ausbildung, die habe ich auch nicht. Ich bin gelernter Metzger und Koch. Wr müssen uns selber gegenüber kritisch genug sein und uns oft genug hinterfragen. Und dabei mit der Zeit gehen. Denn sonst verlieren wir unsere Daseinsberechtigung. Wir wollen die Freiheit der Selbstständigkeit und Freiheit bringt Verantwortung mit sich. Die muss jeder an dem Platz, an dem er steht, selbst wahrnehmen. Das heißt aber auch für mich jetzt gefühlt, dass die Form von Dienstleistungscharakter, wie sie mancher Gast und auch mancher Unternehmer verstanden und gelebt hat, sich verändern wird.

(BEW) Ich habe spontan dieses Bild im Kopf, das wohl die meisten von uns kennen.  Der Butler oder Servicemitarbeiter, der in gebückter Haltung die Cloche nach vorne hält. Das muss sich ja dann verändern, der muss sich nach oben aufrichten und die Schultern breit machen. Das hat dann auch mit Verantwortung wieder zu tun.

(CM) Wobei Gäste ja auch keine homogene Gruppe sind, Gott sei Dank. Ich möchte schon für mich und für meine Gäste in Anspruch nehmen, dass wir alle den Schuss gehört haben. Und irgendwann findest du die Gäste, die zu dir passen. Die, die nicht zu dir passen, die gehen halt woanders hin.

(BEW) Darf ich dann resümieren, dass sich auch die Leidenschaft, vielleicht sogar insbesondere des Unternehmers selber, des Gastronomen, vertiefen muss?

(CM) Solche Aussagen würde ich nicht generalisieren, weil unser ganzes Gewerbe ist extrem heterogen. Wir haben ganz viele verschiedene Formen von Gastronomie, Große, Kleine, Alte, Junge, Solche und Solche. Und ja, auch an der Stelle: Es muss nix, aber es ist eine Riesenchance. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Die Dinge ändern sich, Gott sei Dank. Zeiten ändern sich, Gott sei Dank. Menschen werden mündiger, Menschen werden allgemein selbstbewusster. Das ist eine große gesellschaftliche Errungenschaft, und damit müssen wir richtig umgehen. Wir müssen schauen, wo unsere Stärken und wo unsere Schwächen sind.
Und dann die Frage: Wie definiere ich denn heute gute Dienstleistung? Heißt gute Dienstleistung: einer pfeift und ich tanze? Das ist sicher vorbei. Wir haben jede Menge KnowHow, guten Geschmack und wir kennen uns aus. Die Gäste möchten gerne teilhaben an dem, was wir können und an dem, was wir wissen. Welcher durchschnittliche Gast möchte schon eine Weinkarte mit 1000 Positionen und damit allein gelassen werden? Es ist unsere Aufgabe herauszufinden, was derjenige braucht, was gerade gut ist für ihn, was seinem Portemonnaie und seinen Wünschen entspricht. Das ist unser Job. Zu sagen, was gut schmeckt, was schön ist. Die Leute an die Hand zu nehmen, sie mitzunehmen in unsere Welt der Fantasie, der bunten Farben und der guten Geschmäcker, der Wohlgenüsse. Das ist unser Job im Sinne eines Kurators. Als jemanden, der in der Lage ist, anderen zu zeigen, was für ihn heute Abend das Schönste ist. Ihn zu unterhalten, ihn zu überraschen, ihm Freude zu bereiten. Das ist mein Verständnis von Dienstleistung. Wir waren schon immer Dienstleister und bleiben es hoffentlich, indem wir den Dienst leisten, wie eben beschrieben. Aber nicht in so einer Attitüde, die eher bitchy ist und ins Rotlichtmilieu gehört. Wo jemand einen Schein auf den Tisch legt und sagt: Du machst jetzt, was ich will und wann ich´s will und wie ich´s will. So ein Verständnis von Dienstleistung ist zumindest bei mir schon lange Geschichte.

(BEW) Ich habe eingangs erwähnt, dass Du Mitglied der Jeunes Restaurateurs d`Europe bist, einer Vereinigung von Top Köchen. Welche Vorteile hat diese Gemeinschaft gerade jetzt zu Corona-Zeiten?

(CM)  Zuerst mal Jeunes Restaurateurs heißt  junge Restaurateurs. Jung bin ich nicht mehr, ich bin 54. Ich hatte in jungen Jahren meiner Selbstständigkeit die Freude, nicht nur Mitglied zu sein, sondern insgesamt neun Jahre dem Vorstand anzugehören. Ich war sechs Jahre Vizepräsident der Vereinigung und durfte in dieser Zeit die Vereinigung mit gestalten. Das hat mir persönlich unwahrscheinlich viel gegeben. Und der allergrößte Vorteil, den ich in meiner Mitgliedschaft persönlich sehe, ist der kollegiale Austausch unter den Besten der Branche. Wenn du als jemand, der ambitioniert kocht und sich Mühe gibt, der sich aber immer nur in einem Radius von 15 Kilometern vergleicht, dann bist du ganz schnell als Einäugiger der König unter den Blinden. Und jetzt vergleicht man sich mit den Kollegen, die zu den Besten gehören. Das hebt auch den eigenen Anspruch auf ein ganz anderes Niveau. Über die Jahre haben sich innerhalb dieses Zirkels auch viele wertvolle Freundschaften gebildet. Da gibt es Leute, die zu engen und guten Freunden geworden sind. Das ist ein Netzwerk und der Austausch untereinander.  Wir geben uns auch gegenseitig Hilfestellung, selbst nach Feierabend. Es ist schon cool, wenn ich jemanden anrufen kann oder das Telefon klingelt bei mir. Wir haben ja alle unsere Stärken und Schwächen auf unterschiedlichen Gebieten. Dieser Austausch untereinander, der ist extrem wertvoll.

(BEW) Garantiert tauscht Ihr Euch jetzt gemeinsam auch über die Auswirkungen von Corona aus. Und der eine hat diese Idee, der andere unterliegt der Herausforderung und reagiert da auf seine Art. Da werdet ihr ganz sicher auch wieder voneinander profitieren.

(CM) Die Telefone glühen, wir sind ständig in Kontakt. Über alle möglichen modernen Medien tauschen wir uns ständig aus. Wobei, da gibt’s keine Patentrezepte, weil der eine führt einen Familienbetrieb, der seit 300 Jahren in der gleichen Form existiert. Der hat andere Sorgen oder weniger Sorgen als jemand, der erst kürzlich einen Wellness-Bereich gebaut und riesig investiert hat. Wie erwähnt, die Stärken und Schwächen sind sehr unterschiedlich verteilt. Und was macht man? Man zieht einfach gemeinsam an einem Strang. Wobei es auch da keine Patentlösung gibt. Wir sind kein Konzern, keine Firma oder Gesellschaft, wo einer oben sitzt, und sagt: Alle hier entlang! Jeder muss sich seine eigenen Lösungen raussuchen und für sich seinen Weg finden. Auch hier gilt: Das ist nichts, wo man seine Verantwortung abgeben kann.Villa Mittermeier

 

(BEW) Christian, lass mich zum Schluss zu einem anderen Thema kommen, das ich eingangs erwähnt habe: Du bist auch Weinmacher, Du bist ein Tauberhase.

(CM) Weinmacher ist ein großes Wort. Ich besitze Weinberge oder besser gesagt, Anlagen in Weinbergen. Zusammen mit meinem langjährigen lieben Freund Jürgen Koch vom Laurentius und meinem Cousin Lars Zwick vom Landhaus Falken in Tauberzell, Hier um die Ecke den Berg entlang.

(BEW) Was produziert Ihr? Welche Rebsorten?

(CM) Verschiedene Rebsorten wie Riesling, Grauburgunder, Müller-Thurgau, Bacchus und ganz neu: Silvaner im ökologischen Anbau. Passend dazu produzieren wir Honig. Wir haben über 200 Bienenvölker. Wir stellen alkoholfreie Getränke her, zum Beispiel den Trauben-Hasi. Gemacht aus Most, der aus einer Rebsorte, aus einem Jahrgang und einer Lage kommt. 

(BEW) Es lohnt sich also, nach Rothenburg ob der Tauber zu fahren. Christian Mittermeier, ich sage ganz herzlichen Dank. Ich freue mich, dass Du mit mir das Gespräch geführt hast. Ich wünsche Dir und Deinem Team sowie deiner Familie, dass ihr gut durch die Krise kommt. Ich verspreche jetzt schon, nach Corona werde ich mich wieder in mein Wohnmobil setzen und zu Euch kommen. Bis hoffentlich ganz bald…

Öffnungszeiten im Restaurant Villa Mittermeier: Vor Corona Dienstag bis Samstag, nach Corona wahrscheinlich sieben Tage in der Woche.

Kontakt:
Villa Mittermeier
Vorm Würzburger Tor 7
91541 Rothenburg o.d.T.
+49 9861/9454-0

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